3 Tore zur Erforschung Deines Eros
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In manchen Büchern findet man Perlen. In besonderen Büchern gleich mehrere – wie zB. in David Schnarch´s „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“. Eine der strahlendsten Perlen war seine Ausführung über „Sexuelle Stile“ die er vom Psychologen Donald Mosher aufgegriffen hat. Dieses Konzept hat mich gefesselt, da es Auswirkungen auf unseren Eros und die Entfaltung unserer Lebendigkeit hat, die weit über unser Sexleben hinausgehen.
Um einen Zugang zur breiteren Bedeutung dieser Ideen zu bekommen ist es wichtig, diese Zeilen mit Offenheit zu lesen und nicht an den einzelnen Worten zu kleben. Sind diese Voraussetzungen gegeben bin ich überzeugt, dass Dir dieser Artikel eine große Hilfe sein kann, Dich wieder ein Stück besser kennenzulernen.
Schnarch bzw Mosher schreiben, dass es 3 sexuelle Stile gibt, die uns jeweils andere Dimensionen unseres Erlebens ermöglichen – so wie 3 Tore, die Dich in ganz unterschiedliche Landschaften führen. Landschaften die geprägt sind von geistigen Haltungen, emotionale Grundstimmungen, bestimmten körperlichen Vorlieben und einem gewissen Stil des Miteinanders.
Diese Stile nennt er Erotische Trance, Rollenspiel und Partnerbezogenheit. Für meine Arbeit habe ich vor einiger Zeit begonnen die etwas treffenderen Bezeichnungen meines Kollegen Christopher Gottwald für meine Arbeit zu verwenden: Spürsex, Verbundenheitssex & Fantasiesex.
Spürsex
Fokus: eigene Empfindungen
ruhig & relaxed
Freiheit von Ablenkung
sinnlich, nach innen orientiert
es wird wenig gesprochen
Geben & Empfangen getrennt
in Kontakt mit sich selbst
die eigene Erfahrung zählt
Verbundenheitssex
Fokus = liebende Verbindung
romantisch & liebevoll
Sinnlichkeit & Intimität
Beziehung & Gegenseitigkeit
emotionaler Kontext
Einfühlung & Verbundenheit
Intimität, Küsse & Blicke
gegenseitiges Erfahrung zählt
Fantasiesex
Spiel mit Rollen & Skripts
aktiv & expressiv
Abenteuer, Neugier
Authentizität, Verkörperung
Archetypen & Persönlichkeit
Umsetzung von Phantasien
Spiel mit Polaritäten
sich zeigen zählt
Um beim Bild der 3 Türen zu bleiben. Stell Dir vor Du trittst durch eine der Türen. Dein ICH befindet sich nun in einer Landschaft. Und jede dieser Landschaften unterstützen Dich dabei, eine bestimmte Erfahrung zu machen indem sich Dein Ich jeweils auf andere Dinge bezieht.
Tür 1 – Spürsex
… führt Dich in eine Landschaft, die es Dir ermöglicht sich ganz auf Dich selbst und Deine Empfindungen zu konzentrieren. Es gibt keine starken äußeren Reize, die Dich ablenken oder Deine Aufmerksamkeit fordern – so dass Du total in Dich selbst eintauchen kannst um Dich Deinen Empfindungen hinzugeben. Ein Symbol dafür wäre eine Muschel die Dich umschließt oder eine Welle die Dich sanft einhüllt und umspült. Deine Augen sind geschlossen um Dich in Deine innere Welt zurückzuziehen. Andere Menschen sind in dieser Umgebung dazu da, Dir zu dienen eine innere Erfahrung zu machen. Es tut Dir gut berührt zu werden und zu wissen, dass Du nichts zurückgeben musst. Dass es OK und wichtig ist, primär in Kontakt mir DIR SELBST zu sein.
Tür 2 – Verbundenheitssex
… führt Dich in eine Landschaft in der alles darauf ausgerichtet ist, einem anderen Menschen zu begegnen und eine tiefe Verbindung mit ihm einzugehen. Die Umgebung ist weder zu anregend noch zu dämpfend, so dass Du in einem ausgeglichenen Zustand bleibst, in dem Du wach und präsent und gleichermaßen entspannt in Kontakt gehen kannst. Vielleicht findest Du in dieser Landschaft einen sinnlichen Kreis aus Rosenblättern in dessen Mitte eine Kerze steht mit zwei Kissen die Dich und Deinen Partner dazu einladen Euch gegenüberzusetzen. Das ist ein geschützter Raum für zärtliche Küsse, tiefe Blicke in die Augen des Partners, bewusstes Eintauchen in die Seelenwelt des Anderen und ein intimes Miteinander in Worten, Gesten und Berührungen.
Tür 3 – Fantasiesex
…führt Dich in eine Landschaft die dazu animiert, in Kontakt mit ganz bestimmten Teilen Deiner archetypischen Seelenlandschaft zu gehen. Hier hast Du die Gelegenheit, diesen Teilen Raum zu geben … „HEY … kommt raus zum Spielen! Zeigt Euch!“ Das hier ist der Ort um Dich authentisch auszudrücken und Seiten von Dir zu zeigen, die Du Deiner Schwiegermutter lieber vorenthältst. Die Umgebung ist anregend, facht Deine Neugier an und unterstützt Deinen Spiel- und Explorationstrieb. Es ist eine Abenteuerlandschaft in der DU der Held der Geschichte bist und in alle Rollen schlüpfen kannst, die Dir belieben. Das hier ist schamfreie, schuldfreie und tabufreie Zone in der Du im Einvernehmen mit anderen Spiel-Partnern alle erotischen Skripte umsetzen kannst, die in Deinem Bewusstsein schlummern. Manege frei für … DICH!
Ich denke Du hast jetzt einen kleinen Geschmack wovon ich spreche. Und wenn nicht – dann ist es langsam Zeit auf den Geschmack zu kommen und Dir diese Türen und Räume zu kreieren.
„Stil-Mißverständnisse“
Die meisten Menschen haben einen bevorzugten Stil und mindestens einen, mit dem sie tendenziell Schwierigkeiten oder wenig Erfahrung haben. Das ist gut so – und völlig OK. Das nennt man Vorliebe. Schon allein das Bewusstsein darüber, welchen Stil DU favorisierst und welchen Du meidest, ist ein sehr wichtiger Schritt auf Deinem Weg zur Befreiung Deines Eros. Das Wissen darüber ist vor allem in Beziehungen ungemein wichtig, Denn was, wenn DU beim Sex hauptsächlich abschalten möchtest um nach einem stressigen Tag bei Dir anzukommen, die Augen schließen und Dich und Deinen Körper spüren (Spürsex). Und DEINE PartnerIN, der / die Dich den ganzen Tag schon herbeisehnt, möchte mit Dir tief in Verbindung gehen, Intimität genießen und mit Dir verschmelzen (Verbundenheitssex). Oder DU möchtest Küsse mit innigem Augenkontakt (Verbundenheitssex) und DEIN Partner möchte Dir die Augenbinden anlegen und Dir den Arsch versohlen (Fantasiesex).
Ein freier Eros kann in allen 3 Räumen wohnen
Ich bediene jetzt absichtlich ein paar Klischees um es greifbarer zu machen. Es ist wichtig, sich bewusst zu werden, dass zwei Menschen oft an ganz verschiedene Dinge denken, wenn sie an „Sex“ denken – nämlich häufig an ihren bevorzugten sexuellen Stil. Ein Austausch über diese 3 Dimensionen des Erlebens kann viele Aha´s bewirken und das Liebesleben neu kalibrieren. Trotz persönlicher Vorlieben, die ich niemandem nehmen mag, ist es für die Freiheit unseres Eros wichtig, ALLE DREI Stile in unser Liebensleben einfließen zu lassen. Es ist sehr bereichernd sich in allen 3 Landschaften einen Wohnsitz einzurichten … zumindest einen Zweitwohnsitz … und wenn das schwierig ist … vielleicht erstmal eine Hängematte 🙂
„Je größer die Freiheit ist, alle verschiedenen Stile zu genießen und in ihre Tiefen zu tauchen, desto größer die Fähigkeit eines Paares mit unausweichlichen Themen des Lebens umzugehen – wie Verletzungen, Konflikten, Krankheiten oder Traumen.“
(Paartherapeut David Schnarch in – „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“)
Aber nicht nur in Bezug auf unsere Sexualität ist es wichtig, allen 3 Dimensionen des Erlebens Raum zu geben. Ganz allgemein gesprochen ist es wesentlich, im Leben Räume zu haben, in denen ich in einer ganz entspannten Stimmung in mich gehen kann, in denen ich voll präsent mit meinem Gegenüber bin und in denen ich mich nach Herzenslust ausdrücken darf um zu spielen wie ein (erwachsenes) Kind. Wie sieht DEIN Leben aus, wenn es diesbezüglich in Balance ist?
Erforschung Deiner erotischen Landschaft
UND … Hand aufs Herz! Welcher der 3 Stile ist der, den DU am meisten bevorzugst? Und wovor hast Du am meisten Angst? Wo zeigen sich Widerstände? In welche Räume bist Du schon eingetaucht – aber es fehlt Dir vielleicht noch etwas Tiefe. Was vermisst Du in der Sexualität mit Deinem Partner? Und was macht es Dir schwer ihn darauf anzusprechen?
Solange wir einen der Räume aus Angst oder Widerstand nicht betreten, solange ist unser Eros nicht frei. Es ist gut und sehr erkenntnisreich sich mit diesen Widerständen auseinanderzusetzen. Welche Skripte in Deiner Geschichte verhindern einen neuen Schritt bzw. welches Kapitel Deiner Lebensgeschichte würdest Du gern neu schreiben, wenn Du keine Hemmungen hättest? Wie würde es genau aussehen, wenn Dein Eros erste Klasse fliegt und Du erotisch voll in Deiner Kraft bist?
Uns würden Deine Antworten sehr interessieren – also hinterlasse uns unten einen Kommentar oder schreib uns ein Email. Gerne auch mit Deinen Fragen.
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13. April 2017 @ 19:24
Gratulation – total spannend. Wenn man sich auf deine Worte einlässt ohne Vorbehalte erkennt man sofort sein Tor, seine Landschaft, das Tor des Partners, die Landschaft des Partners …. und gewinnt einen Ein-Blick in seine Seele (was ja heute oftmals in sogenannten Beziehungen vermieden wird).
Tor 1 – die Palette reicht vom „xunden“ Egoismus bis hin zum Narzissmus
Tor 2 – der oder die Gebende bis hin zur Selbstaufopferung
Tor 3 – diese Zone erlauben sich wohl die wenigsten zu zugestehen – Scham, das tut mann/frau nicht – hat wohl jede/r in der Erziehung mitbekommen.
Welche Kindheitserfahrungen wirken mit an der jeweils preferierten Form der Sexualität?
Kommunikation ist wohl eine Möglichkeit – ich sehe es als ein must an – durch alle 3 Tore zu gehen um gemeinsam sich „an der Verschiedenartigkeit der Landschaften“ zu erfreuen. Sich nur auszuziehen – oder auch nicht ;), der Meinung zu sein beide „Beteiligten“ verfügen über genügend Erfahrungen, reicht doch zumeist nicht für gute erfüllende Sexualität – meine ich. Doch ist nicht gerade das Thema Kommunikation ein Thema? Es wird zwar viel geschrieben über mail, WhatsApp, SMS …. offene ehrliche wertschätzende Kommunikation findet oftmals eher selten statt – weder im Alltag, noch „vorher, während oder nachher“ …. das Leben ist so unwahrscheinlich bunt. Es ist schade, dass oft nur in schwarz und weiß gedacht, gesprochen, geliebt …. wird weil die Buntheit der Seele sich nicht zeigen darf, aus welchen Gründen auch immer …..
Danke für den Artikel!
17. April 2017 @ 21:27
WOW – Danke für Deine wunderbaren Worte … ja ich erlebe es auch so, dass sich oft im Auseinandersetzen mit verschiedenen Themen dann ganz viele Fragen auftun, die uns im besten Falle dazu antreiben, weiter und tiefer in ein Lebensfeld einzutauchen. Ich finde es auch schön, dass Du einige Schattenseiten der Landschaften angeführt hast. Wo Leben ist – da ist auch Licht und Schatten. Und wahre Kommunikation von Herz zu Herz – und die Offenheit über ALLES reden zu können – auch über Tabuthemen – das wünsch ich mir! Alles Liebe, Manuel
22. April 2017 @ 10:26
Lieber Manuel,
danke für diese wunderbare Zusammenfassung, sie ist wirklich eine Perle.
Der Artikel beschreibt sehr klar und auf das Wesentliche konzentriert, was ich durch Erfahrungen der letzten Jahre schon lernen, jedoch noch nicht so schön in Worten nachvollziehen konnte. Er ließt sich für mich als prägnante Zusammenfassung dessen, was wirklich da ist. Eine sehr schöne Beschreibung der menschlichen Sexualität, die ich sofort unterschreiben würde. Diese Beschreibung hilft mir sehr, mich selbst klarer zu sehen, bewußter zu erleben. Besonders gut gefällt mir der Satz von David Schnarch „Je größer die Freiheit ist, alle verschiedenen Stile zu genießen und in ihre Tiefen zu tauchen, desto größer die Fähigkeit eines Paares mit unausweichlichen Themen des Lebens umzugehen – wie Verletzungen, Konflikten, Krankheiten oder Traumen.“ In meinem Verständnis ist das Leben überall mit Sexualität verknüpft. Gesundheit dort, heißt für mich: Gesundheit in allen Beziehungen zu Mensch und Natur. Danke. Andreas, 47.
22. April 2017 @ 14:18
Danke sehr für deine Worte Andreas. Es ist schön zu wissen, dass meine Worte und Gedanken auf Resonanz stossen. Das inspiriert mich dazu auch weiterhin nach Perlen zu suchen und diese „unters Volk zu streuen“ 🙂 Und das Buch von Schnarch ist wirklich in jeder Hinsicht eine Offenbarung. Kann ich nur empfehlen.
Alles Liebe,
Manuel
25. April 2017 @ 16:49
Hallo, ich wurde gleich gefesselt, als ich in deinen Zeilen den Buchtitel
„Die Psychologie sexueller Leidenschaft“ gelesen habe. Ich habe das Buch auch verschlungen und war fasziniert und der Detailheit und Genauigkeit und ich weiß,
ich werde das nochmals lesen. Bei einem Durchgang hat man die für sich wichtigen Pkt. gar nicht alle erfasst.
Dieses Thema ist so weitläufig und beginnt verankert zu sein im eigenen Körper, Nacktheit, Selbstliebe, Offenheit, spüren, wie reagiere ich, von achtsamen Slowsex bis hin zu Rollenspiele und SM… , Bondage.
Es gibt keine nur eine „Richtung“ – die Kunst ist es überall schlafen zu können und es zu genießen.
Danke für deine Arbeit
Karin
25. April 2017 @ 19:44
Da bleibt mir nichts anderes als zu sagen … YES … genau so ist es. Von Slowsex bis Rollenspiel. Ich habe mit meiner Frau zB. auch lange Zeit mit Slowsex experimentiert und tolle und tiefe Erfahrungen gemacht. Aber als alleiniger Modus des Sex fehlt etwas … das Spiel, das Abenteuer, der Selbstausdruck, das Animalische, das Dunkle und Abgründige … und auch DAS ist „sacred sex“. Liebe Karin – ich wünsche Dir dass Du alle 3 Bereiche der Sexualität genussvoll auskosten kannst. Alles Liebe, Manuel